Wien (OTS) – Was 2007 mit einem ersten Bericht begonnen hat, ist mittlerweile ein alljährlicher Fixpunkt – der Österreichische Fehlzeitenreport, breit getragen von der Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaftskammer, der Arbeiterkammer und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger.
2017 waren die Krankenstände gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert, die Beschäftigten verbrachten im Jahresverlauf durchschnittlich 12,5 Kalendertage im Krankenstand. Langfristig gesehen ist das Krankenstandsniveau in Österreich derzeit vergleichsweise niedrig: Die krankheitsbedingten Fehlzeiten erreichten 1980 ihren Höchstwert, als pro Kopf 17,4 Krankenstandstage anfielen und die Krankenstandsquote bei 4,8% lag. In den Jahren 1990 und 2000 waren die Beschäftigten durchschnittlich 15,2 Tage bzw. 14,4 Tage krankgeschrieben. Der langjährige Trend zu einer Verkürzung der Dauer der Krankenstandsfälle setzte sich auch 2017 fort. Kurzkrankenstände stellen aktuell 40% aller erfassten Krankenstandsfälle dar. Gemessen an der Summe der Krankenstandstage ist ihr Gewicht aber gering und liegt bei 8,6% aller krankheitsbedingten Fehlzeiten.
Zwei Gruppen von Krankheiten prägen vor allem das Bild des Krankenstandsgeschehens: Die Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes und jene des Atmungssystems. Zusammen verursachen diese Erkrankungen knapp 50% der Krankenstandsfälle und gut 40% der Fehlzeiten. In einer längerfristigen Sicht ist der klare Aufwärtstrend der psychischen Verhaltensstörungen bemerkenswert. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich die Zahl der Krankenstandstage infolge psychischer Erkrankungen, ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau, fast verdreifacht. Auch in anderen Ländern, beispielsweise in Deutschland, ist eine ähnliche Entwicklung beobachtbar. Seit 2012 ist der Anstieg der psychisch bedingten Krankenstände in Österreich allerdings abgeflacht, 2016 kam es erstmals seit Mitte der 2000er-Jahre zu einem leichten Rückgang der Pro-Kopf-Quoten in dieser Krankheitsgruppe. 2017 verharrte die Quote auf demselben Wert wie im Vorjahr.
Präsentismus und Absentismus
Der Fehlzeitenreport 2018 behandelt in seinem heurigen Schwerpunktkapitel das Thema „Präsentismus und Absentismus“. Den verfügbaren Daten zufolge ist etwa die Hälfte der österreichischen Beschäftigten im Jahresverlauf mindestens einmal trotz Krankheitssymptomen am Arbeitsplatz. Absentismus, d. h. das Vortäuschen eines Krankenstandes, betrifft einen kleineren Beschäftigtenkreis und ist weniger gut erforscht als Präsentismus. Sowohl Präsentismus als auch Absentismus verursachen Kosten und können kurz- und längerfristige negative Auswirkungen für die Wirtschaft und die Gesellschaft zur Folge haben.
Verantwortung übernehmen und gezielte Maßnahmen setzen
Andreas Huss, Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, bringt es auf den Punkt: „Präsentismus ist ein Zeichen dafür, dass sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in irgendeiner Weise gedrängt fühlt, trotz Krankheit in die Arbeit zu gehen. Das kann das Fehlen eines geeigneten Vertreters als Ursache haben oder auch die Angst, das berufliche Fortkommen zu gefährden. Es ist aber die Pflicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, hier Verantwortung zu übernehmen und sichere und gute Arbeitsbedingungen zu bieten. Die absolute Grundlage für eine gesunde Arbeitswelt. Dadurch entsteht ein Klima, in dem Sorgen, Unsicherheiten, Abstimmungsprobleme oder die Angst vor einem Jobverlust keine zentralen Größen darstellen. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ein solches Umfeld treffen, werden Fälle von Präsentismus aber auch Absentismus eine Seltenheit sein.“ Für Andreas Huss ist das Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung ein zentrales Mittel, um die Unternehmen dabei zu unterstützen: „In Salzburg haben wir schon mit über 300 Betrieben an gesundheitlichen Verbesserungen gearbeitet. Dabei wurden auf jeden einzelnen Betrieb zugeschnittene Projekte entwickelt und die Arbeitsverhältnisse für 65.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedarfsorientiert weiterentwickelt. Es ist uns ein großes Anliegen, die Betriebliche Gesundheitsförderung weiter in die Organisationen zu tragen, weil es gut für die Beschäftigten ist und im Ergebnis auch von enormem Wert für die Betriebe.“
Die Arbeitsfähigkeit der Menschen stärken und Maßnahmen gezielt weiterentwickeln
Eine gesunde Arbeitswelt leistet einen wesentlichen Beitrag für ein längeres und selbstbestimmtes Leben bei guter Gesundheit. „In Zusammenarbeit mit den Betrieben setzt die Sozialversicherung weitreichende Präventionsmaßnahmen um. Dabei geht es um die Stärkung der Arbeitsfähigkeit der Menschen und den gezielten Umgang mit Belastungen. Präsentismus und Absentismus sind Ausdruck von negativen arbeits- und organisationsbezogene Faktoren, wie zum Beispiel Arbeitsplatzsicherheit, und somit ein wichtiger Ansatzpunkt organisationsbezogen Maßnahmen im Sinne der Gesundheit zu setzen, so Alexander Hagenauer, stellvertretender Generaldirektor im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
„Wir müssen die richtigen Bedingungen schaffen, den Menschen soziale Sicherheit garantieren und den Faktor Arbeit als zentralen Einflussfaktor für Gesundheit verstehen, erklärt Alexander Hagenauer abschließend.
Fehlanreize vermeiden, Prävention und raschen Wiedereinstieg fördern
Beide Phänomene – Präsentismus wie Absentismus – schaden den Betroffenen, der Wirtschaft und dem Sozialstaat. „Wir müssen auf allen Ebenen des Arbeitsmarktes danach trachten, dass Menschen weder krank in die Arbeit gehen, noch unser sehr gut ausgebautes Sozialnetz zu Lasten der Versichertengemeinschaft missbrauchen. Auch wenn der Bericht zeigt, dass es vor allem zum Absentismus erst wenige Studien und Erkenntnisse gibt, ist aus unserer Sicht klar, dass es einerseits Fehlanreize durch allzu großzügige sozialstaatliche Leistungen zu vermeiden und andererseits die Investitionen in Präventionsmaßnahmen sowie rasche Wiedereinstiegsprogramme zu forcieren gilt. Wir plädieren sehr dafür, ein Äquivalent zur seit eineinhalb Jahren erfolgreich laufenden Wiedereingliederungsteilzeit für kürzere Krankenstände zu schaffen, um Menschen möglichst langfristig im Job zu halten“, so Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich.
Besonders erfreulich ist zudem, dass sich der bereits langjährige Trend des Rückgangs bei Arbeitsunfällen mittlerweile verfestigt hat: Die Unfallquote der Beschäftigten erreichte 2017 mit 3,2% das historisch niedrigste Niveau seit 1974 (7,6%). Dies entspricht einem Rückgang um 59%, also fast zwei Drittel. „Die äußerst positive Entwicklung bei den Arbeitsunfällen ist keineswegs selbstverständlich, sondern die Folge des Engagements unserer Betriebe im Arbeitnehmerschutz sowie der Bemühungen der Allgemein Unfallversicherungsanstalt“ hält Gleitsmann zufrieden fest.
Mehr an Prävention und weniger belastende Arbeitsbedingungen
„Es ist erfreulich, dass auch 2017 die Krankenstandstage bei den psychischen Erkrankungen weiter stagnieren. Diese positive Entwicklung ist auf die Umsetzung zahlreicher Maßnahmen in den letzten Jahren zur möglichst frühzeitigen Intervention bei gesundheitlichen Problemen der Beschäftigten zurückzuführen“, verweist Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung der AK Wien, auf Maßnahmen wie „fit2work“, „Early Intervention“ (Frühintervention nach 28 Krankenstandstagen), die Wiedereingliederungsteilzeit oder das Rehabilitationsgeld.
Für Panhölzl aber noch kein Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen. So geben die Ergebnisse der jüngst veröffentlichten OECD-Studie zum Gesundheitszustand der Bevölkerung der EU Anlass zur Sorge: Jeder sechste Österreicher leidet an einer psychischen Erkrankung. Mit einem Anteil von rund 18% Betroffenen liegt Österreich über dem EU-Durchschnitt (knapp über 17%). Die Anforderungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind gerade im psychischen Bereich stark gestiegen: Es gilt flexibel, empathisch, kreativ und kompatibel zu sein „und das neuerdings für 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche“, sagt Panhölzl. Das bringt enorme Belastungen für die psychische Gesundheit. Hier gilt es gezielt durch ein Mehr an Prävention und weniger belastende Arbeitsbedingungen verstärkt gegenzusteuern, aber auch die Therapieangebote durch eine Ausweitung der Sachleistungsversorgung auszubauen. Bis zum Abschluss eines entsprechenden Gesamtvertrages ist es dringend geboten, die Kontingente der Versorgungsvereine für Psychotherapie aufzustocken“, fordert Panhölzl.
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist das organisatorische Dach über der solidarischen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung Österreichs. Die Sozialversicherung garantiert unabhängig von Alter, Einkommen, sozialer Herkunft und Bildung hochwertige Gesundheitsversorgung und eine sichere Pensionsvorsorge. Aktuell sind rund 8,5 Millionen Menschen anspruchsberechtigt (Versicherte und mitversicherte Angehörige).
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Österr. Institut für Wirtschaftsforschung
Thomas Leoni
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