Pandemie und Gesundheitsfolgen

Die Pandemie trifft arme Menschen härter, das zeigt die Studie „Gesundheitliche und sozioökonomische Belastung durch die Covid-19-Pandemie in Wien (2021)“, die von Dr.Oberndorfer MedUni Wien und seinen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wurde. Befragt wurden gut 1.000 Personen aus Wien während eines harten Lockdowns. Laut den Ergebnissen haben sich bei einem Viertel die psychische und bei 14 Prozent die körperliche Gesundheit verschlechtert.

Menschen in den untersten 20 Prozent der Einkommensverteilung hatten eine doppelt so hohe Chance, dass sich aufgrund der Pandemie die selbst eingeschätzte psychische Gesundheit verschlechtert hat – verglichen mit den obersten 20 Prozent. Rund sechs Prozent der Befragten zeigten Symptome einer akuten Belastungsstörung.

Ungleichheit nicht erst seit CoV

Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit ist international evident. Studien aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien zeigen, dass CoV vor allem ärmere Stadtviertel betrifft. Auch eine Untersuchung aus Deutschland bestätigt: Je geringer das Einkommen, desto größer ist das Risiko einer Ansteckung mit dem Virus.

Laut den Ergebnissen haben Langzeitarbeitslose ein 94 Prozent höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf als Menschen mit regulärer Beschäftigung. Oberndorfer sagt, dass diese Ungleichheiten durch die Pandemie nur sichtbarer geworden seien, dass es sie aber auch schon davor gegeben habe.

Armut bedeutet Stress bedeutet Krankheit

Dass sozial benachteiligtere Gruppen öfter von Depressionen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Depressionen betroffen sind, zeigt auch eine Studie der Stadt Wien, die vor der Pandemie durchgeführt wurde.

Für Oberndorfer gibt es dazu naheliegende Erklärungen wie etwa den Lebensstil, den man sich zeitlich und finanziell leisten kann. Aber auch psychosoziale Faktoren beeinflussen die Gesundheit wesentlich: „Je niedriger die soziale Position, desto höher ist man chronischem Stress ausgesetzt“, erklärt der Sozialepidemiologe im Interview. Der chronische Stress löst Prozesse im Körper aus, die langfristig dem Körper schaden, weil sie etwa das Immunsystem schwächen – wodurch man anfälliger für Krankheiten ist.

Was im Büro krank macht

Auch der Beruf hat einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheitschancen, ausschlaggebend ist dabei die Art der Beschäftigung. Bei einem Bürojob sind es vor allem psychosoziale Mechanismen, etwa wenn ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitsaufwand und Belohnung besteht, sagt Oberndorfer. Eine fehlende Balance kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, ein Burn-out kann die Folge sein.

Putzjob wirkt wie tägliche Packung Zigaretten

Besonders bei Berufen mit hoher körperlicher Belastung drohen langfristig physische Schäden. Agatha – um ihre Anonymität zu wahren, wird nur ihr Vorname genannt – ist 44 Jahre alt und arbeitet seit zehn Jahren als Reinigungskraft in Wien. Der Beruf ist körperlich sehr herausfordernd, erzählt sie im Interview mit ORF.at: „Ich habe Kolleginnen, die sind nach fünf Jahren Arbeit körperlich kaputt.“ Probleme mit dem Kreuz zählen laut Agatha zu den häufigsten Beschwerden.

Mit gesunder Ernährung und Sport hält sich Agatha fit, denn für diese Art der Arbeit müsse man „körperlich gut beieinander“ sein. Dazu gehörten auch „guter Schlaf und positives Denken.“ Forscherinnen und Forscher haben etwa in einer norwegischen Studie herausgefunden, dass die Vollzeitarbeit als Reinigungskraft durch die eingesetzten Chemikalien in etwa gleich schädlich ist, wie eine Packung Zigaretten am Tag zu rauchen.

Das Scheitern an der Kaloriengrenze

Für Reinigungskräfte in Österreich ist eine finanzielle Zulage für besonders gefährliche Tätigkeiten, wenn die Arbeit beispielsweise ein Atemschutzgerät erfordert, kollektivvertraglich geregelt, erklärt Anna Daimler, Generalsekretärin der Gewerkschaft vida, im Interview mit ORF.at. Die Gewerkschaft fordere daher einen erleichterten Zugang zur Schwerarbeitspension, etwa für Angestellte in der Reinigungsbranche.

Weibliche Gebäudeinnenreinigungskräfte sind auf der Liste der Schwerarbeitsberufe in Österreich erfasst, dennoch fallen viele nicht unter den Anwendungsbereich. Das liege daran, erklärt Daimler, dass Aufträge in der Regel als Teilzeitbeschäftigung vergeben werden, da Reinigungskräfte üblicherweise in den Morgenstunden und abends arbeiten. Durch die verringerte Arbeitszeit werde aber nicht die notwendige 1.400-Kalorien-Grenze erreicht, die zu den Voraussetzungen der Schwerarbeit zählt.