Was macht der Lockdown mit der Psyche?

Immer mehr Menschen fühlen sich einsam – auch aufgrund der Corona-Krise. Was spielt sich dabei in ihren Gehirnen ab?

Der Mensch ist ein soziales Wesen, das sich gern mit seinesgleichen umgibt. Einsamkeit ist ein Zustand, den er tunlichst vermeiden möchte, ein Leiden, das auch in Gesellschaft empfunden werden kann. Was genau spürt man dabei?

Man fühlt sich verlassen, ungeliebt, unendlich leer. Derart eingeengt, hegt man auch mehr Misstrauen gegenüber Mitmenschen, neigt zu Depressionen. Studien belegen das genauso wie den Hang von einsamen Menschen zu mehr Alkohol und ungesundem Essen. Wenig überraschend, dass diese auch mehr zu Fettleibigkeit neigen. Die Faktenlage zeigt, dass sich Einsamkeit lebensverkürzend auswirkt.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl derer, die sich derart isoliert fühlen, größer geworden. In Deutschland wurde im Juni 2019 von einem wachsenden Anteil an betroffenen 45- bis 84-Jährigen zwischen 2011 und 2017 berichtet. In einzelnen Altersgruppen soll der Anteil sogar um fast 60 Prozent gegenüber dem Beginn des Vergleichszeitraums gestiegen sein.

Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig. Selbstverständlich hat auch Corona und der mit den steigenden Fallzahlen verbundene Lockdown den Leidensdruck in dieser Hinsicht erhöht: Laut dem Corona-Panel der Universität Wien ist die Zahl derer, die sich einsam fühlen, mit dem aktuellen Lockdown wieder auf das Niveau des Frühjahrs gestiegen.

Ende März waren das 17 Prozent der 1500 Befragten. Entspannung kam zwischenzeitlich mit den Lockerungen während der Sommermonate. Besonders oft klagen Arbeitslose sowie Jüngere über den Zustand, nicht so sehr die ältere Bevölkerung, der man aufgrund des Risikos, schwer an Covid-19 zu erkranken, zur Isolation geraten hat.

Zentrale im Stirnbereich

Was aber passiert im Kopf von einsamen Menschen? Wie bildet sich die innere Leere ab, die sie fühlen? Man wusste zwar, dass Einsamkeit krankmacht, doch darüber hat man viele Jahre gerätselt. Dank moderner bildgebender Verfahren haben Wissenschafter zuletzt in mehreren Studien recht viele neue Informationen darüber gesammelt.

Im Sommer dieses Jahres haben beispielsweise Andrea Courtney von der Stanford University und Meghan Meyer vom Dartmouth College die Aktivitäten in den Gehirnen von 43 Testpersonen untersucht, während diese über sich, über ihre Freunde und über Prominente nachdenken sollten.

Die via Magnetresonanztomografie beobachteten Reaktionen seien in allen Fällen unterschiedlich gewesen, heißt es in dem im Journal of Neuroscience publizierten Paper. Egal, welcher Schaltkreis im Gehirn aktiv wurde, im Mittelpunkt stand immer der präfrontale Cortex im Stirnbereich des Gehirns, der in der wissenschaftlichen Literatur mit Planungen, Aufmerksamkeit und Entscheidungen verbunden wird.

Deutlicher Unterschied

Erstaunlich war, dass sich die Scans bei Versuchspersonen, die sich selbst als einsam bezeichneten, deutlich von jenen unterschieden, die sich als gut vernetzt sahen. Die Aktivitäten ihrer Schaltkreise seien stärker voneinander abgetrennt gewesen, schreiben die Autorinnen – ob die Probanden nun über sich selbst, über Freunde oder Prominente nachgedacht hatten. „Das soziale Gehirn“, heißt es, habe dagegen den Informationsaustausch in andere Bereiche aufrechterhalten.

Plötzliche Isolation, wie sie in vielen Fällen während des Corona-Lockdowns passiert, führt wiederum zu Gehirnaktivitäten, die die Forschung von Menschen nach einer längeren Fastenzeit kennt. Erst kürzlich haben Wissenschafterinnen am MIT in Boston, USA, 40 gesunde Probanden, Studenten und Studentinnen in freiwillige Selbstisolationen am Campus der Hochschule gebeten.

Sehnsucht nach Interaktion

Die Studienteilnehmer saßen jeweils einzeln und an verschiedenen Tagen zehn Stunden in einem fensterlosen Raum, sie konnten kein Handy benutzen, hatten aber einen Computer zur Verfügung, um die Versuchleitung eventuell kontaktieren zu können. Essen wurde vor die Tür gestellt.

Danach ging es für jeden Probanden zur Magnetresonanztomografie. Die Forscherinnen konzentrierten sich bei ihrer Analyse, die in Nature Neuroscience erschien, auf die Substantia Nigra im Mittelhirn, die bei Heißhungerattacken und Drogenmissbrauch aktiv wird. Und sie zeigten den Studienteilnehmern Bilder von Menschen, die miteinander sprechen, Bilder von Lebensmitteln und Blumenfotos.

Tatsächlich zeigte die Substantia Nigra deutlich Aktivitäten, das Ausmaß war umso stärker, je stärker die Teilnehmer die Sehnsucht nach sozialer Interaktion erlebten. Wer sich im Alltag kaum einsam fühlte, zeigte mehr Reaktionen in der besagten Gehirnregion, wer sich ansonsten isoliert fühlte, erlebte die freiwillige Isolation nicht so intensiv.

Vielleicht ist das ein Grund, warum viele Menschen berichten, in der Corona-Pandemie nicht übermäßig einsam zu sein: Für sie ist das eine Ausnahmesituation, die sich vom Alltag kaum abhebt. Im Detail wird man diese Informationen erst durch weitere Forschungen hinterfragen können.